Müllers kleines ABC (Netzwoche Nr. 13, 2018): ! wie aufdringlich - : Wenn alles schreit und kreischt, ist ein gedämpfter Tonfall der wahre Luxus.
Der Duden sagt: «Das Ausrufezeichen verleiht dem Vorangehenden einen besonderen Nachdruck». Es ist also dafür gedacht, den Lesenden zu vermitteln, dass es gerade um etwas sehr Wichtiges, Erstaunliches, Befremdliches oder sonst wie Ausserordentliches geht. Damit wird das Ausrufezeichen zum Megaphon unter den Satzzeichen – und es will mit Bedacht verwendet werden.
Früher war das Ausrufezeichen tatsächlich eine Besonderheit. Wer auf eines stiess, war sogleich alarmiert und stand innerlich stramm. Doch heute – wohin man guckt, wo man steht, die nächsten Ausrufezeichen sind nicht weit. SMS sind jedenfalls voll davon und die sozialen Medien sowieso.
Man könnte das jetzt als Mode abtun, als Privat- oder Geschmackssache. Schwierig wird es dann, wenn diese Untugend auch ins Geschäftliche hinüberschwappt. «Unser Tagesmenü!» ruft dann die Speisekarte. «Bitte die EC-Karte einführen!!» brüllt der Fahrkartenautomat (zumindest in Deutschland). «Wichtig !!!» kreischt es aus dem Mail-Betreff.
Dabei ist zumindest das Aneinanderreihen von mehreren Ausrufezeichen in der deutschen Grammatik gar nicht vorgesehen, also falsch und ergo im Geschäftlichen verboten. Hinzu kommt, dass Psychologen den forcierten Gebrauch von Ausrufezeichen mit übersteigerter Selbstwahrnehmung korrelieren. Menschen, die an sowas leiden, halten alles, was sie absondern, für ausgesprochen wichtig (!!!). Sie haben immer recht, sind oft zu laut und gelten als eher unreif. So richtig sympathisch klingt das ja nicht – oder würden Sie bei so jemandem ein Occasionsauto kaufen?
Wer also sein Geld nicht überwiegend mit Pubertierenden verdient oder in der Geiz-ist-Geil-Branche arbeitet, halte sich mit Ausrufezeichen besser zurück. Die Kommunikation wirkt dadurch zwar leiser, dafür aber sympathischer und vertrauenswürdiger. Kommt dazu: Wenn alles schreit und kreischt, ist ein gedämpfter Tonfall der wahre Luxus. Den wird auch die geschätzte Kundschaft bald zu schätzen wissen.
Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.
Inhaber, Expert Consultant
Dr. Christopher H. Müller, Gründer und Inhaber der Ergonomen Usability AG, promovierte am Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie der ETH Zürich. Er ist seit mehr als 22 Jahren Experte für Usability und User Experience. Sein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen ermöglicht es ihm, rasch die Bedürfnisse und Perspektiven der Kunden zu verstehen. Mit viel Kreativität und Mut unterstützt er seine Kunden in Digitalisierungsvorhaben und bei der Optimierung von Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen. Er verfolgt einen praxisorientierten Ansatz und entwickelt massgeschneiderte Lösungen, die effektiv umgesetzt werden können. Dr. Christopher H. Müller ist Kolumnist in der Netzwoche. Weitere Engagements sind unter anderem Stiftungsrat bei der Stiftung Zugang für alle, Mitglied in zwei Swico-Beiräten und Co-Präsident der Regionalkonferenz Nördlich Lägern.