Viel hilft bei Benutzerschnittstellen meist nicht viel. Aber was genau ist zu viel? Befragt man dazu die Psychologie, kommt man um die Zahl 7 nicht herum.
Theorie
Dem US-amerikanischen Psychologen George A. Miller verdanken wir die Erkenntnis, dass unser hochgelobtes Denkorgan nicht unerhebliche Schwächen hat. 1956 war es, als er nach eingehenden Untersuchungen zum Schluss kam, dass der Mensch gleichzeitig nur 7 ± 2 Informationseinheiten (fachsprachlich: Chunks) im Kurzzeitgedächtnis bereithalten kann. Das ist erstaunlich wenig und soll sich scheint’s selbst durch extensives Memory-Spielen kaum verbessern lassen.
Realität
Aus Sicht der Ergonomie ist Millers Postulat ziemlich relevant. Wir sind nämlich auf unser Kurzzeitgedächtnis angewiesen, wenn wir etwas erfassen, bewerten oder verstehen wollen. Werden wir mit Informationen überhäuft, läuft unser Kurzzeitspeicher über und wir verlieren – schwupp! – den Zugriff auf die überschüssigen Informationen. Deshalb ist es wichtig, komplexe Systeme in überschaubare und verdaubare Häppchen zu zerteilen, bevor man sie der Nutzerschaft präsentiert.
Streng nach Miller wird also höchst wahrscheinlich scheitern, wer in seinem Leben gleichzeitig mehr als sieben Ziele verfolgt. Berichte werden nicht gelesen, wenn sie mehr als sieben Gliederungsebenen haben. Wochen mit mehr als sieben Tagen werden nur schwer akzeptiert... Doch Spass beiseite: Websites mit mehr als sieben Hauptnavigationspunkten verschrecken tatsächlich viele Nutzenden. Auch mit Software, die ein Dutzend Dropdowns in der Menüleiste bietet, gewinnt man normalerweise keine Fans.
Fazit
Mittlerweile haben neuere Untersuchungen zwar gezeigt, dass die Zahl 7 nicht ganz so sakrosankt ist, wie Miller damals meinte. Als Faustregel hat sie aber nach wie vor Bestand, beispielsweise, wenn es darum geht, die Komplexität und damit die Erfassbarkeit eines digitalen Produkts oder Dienstes zu beurteilen. Viel hilft bei Benutzerschnittstellen nämlich meist nicht viel. Auf den ersten Blick mag ein grosses Angebot an Optionen beeindrucken – im Alltag glücklich wird man damit nicht.
Veröffentlicht in: Netzwoche Ausgabe 6, 2020
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Inhaber, Expert Consultant
Dr. Christopher H. Müller, Gründer und Inhaber der Ergonomen Usability AG, promovierte am Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie der ETH Zürich. Er ist seit mehr als 22 Jahren Experte für Usability und User Experience. Sein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen ermöglicht es ihm, rasch die Bedürfnisse und Perspektiven der Kunden zu verstehen. Mit viel Kreativität und Mut unterstützt er seine Kunden in Digitalisierungsvorhaben und bei der Optimierung von Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen. Er verfolgt einen praxisorientierten Ansatz und entwickelt massgeschneiderte Lösungen, die effektiv umgesetzt werden können. Dr. Christopher H. Müller ist Kolumnist in der Netzwoche. Weitere Engagements sind unter anderem Stiftungsrat bei der Stiftung Zugang für alle, Mitglied in zwei Swico-Beiräten und Co-Präsident der Regionalkonferenz Nördlich Lägern.