Müllers kleines ABC (Netzwoche Nr. 9, 2017): E wie Emotionskurve - mit dieser lässt sich die Interaktion von Mensch und Maschine ausgezeichnet beschreiben.
Eigentlich kommt die «Emotionskurve» aus der Psychiatrie und beschreibt, wie Menschen mit persönlichen Tiefschlägen umgehen. Kein Wunder also lässt sich mit ihr auch die Interaktion von Mensch und Maschine ausgezeichnet beschreiben.
Konkret: Meine italienische Bank, über die ich ab und zu Zahlungen Richtung Süden auslöse, ersetzt ihr altes E-Banking. Das neue soll viel sicherer sein, mit Mobile TAN und so. Ich muss mich aber neu registrieren – wie das geht, zeigt ein 20-sekündiges Video. Als Erstes fragt das System nach der Handynummer für das Versenden der TAN. Hier scheitere ich wiederholt, weil es keine Schweizer Nummern akzeptiert. Nichts geht mehr. Emotionskurvenmässig bin ich jetzt im Stadium des Schocks. Mein Hilfeschrei Richtung Hotline bleibt weitgehend unverstanden. Ich möge aber bitte warten – der Kollege mit den Englischkenntnissen sei gleich frei. Das Warten dauert eine ewige halbe Stunde und stürzt mich ins «Tal der Tränen», den tiefsten Punkt der Kurve.
Ich lege auf und versuche es erneut. Jetzt bekomme ich den Englisch sprechenden Kollegen ans Telefon, der mir versichert, Schweizer Nummern seien okay. Tatsächlich funktioniert es beim nächsten Versuch – warum auch immer. Es folgt ein atombombensicherer Registrierprozess. Ich bekomme je einen blauen, gelben und roten Code, die ich je zwei-, drei- und viermal zum Akzeptieren von AGBs, Sicherheitsbestimmungen, Haftungsausschlüssen etc. eingeben muss. Das nervt zwar, ist aber vom Prozess her sauber aufgesetzt und gut geführt. Mit den Emotionen geht es nun wieder aufwärts, ich schöpfe Hoffnung. Am Ende bekomme ich gar meine TAN, melde mich damit an und staune, wie sauber und durchdacht das neue E-Banking ist. Jetzt erkenne ich, dass sich die Strapazen gelohnt haben und bin wieder zufrieden mit meiner Bank.
Egal, wie viel besser ein neues Produkt auch immer sein mag – viele Nutzer werden im Tränental landen, wenn sie alte Pfade verlassen müssen. Begleiten Sie sie deshalb gütig und bauen Sie sie engmaschig wieder auf.
Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.
Owner, Expert Consultant
Dr. Christopher H. Müller, founder and owner of Ergonomen Usability AG, earned his PhD from the Institute for Hygiene and Applied Physiology at ETH Zurich. With over 22 years of experience, he is an expert in usability and user experience. His strong sense of empathy allows him to quickly understand the needs and perspectives of his clients. With creativity and courage, he supports his clients in their digitalization projects and the optimization of products, services, and processes. He takes a practical approach, developing tailored solutions that can be effectively implemented. Dr. Christopher H. Müller is a columnist for Netzwoche. He also serves as a board member for the Zugang für alle Foundation, and is a member of two Swico advisory boards and co-president of the Regional Conference Nördlich Lägern.